«Die neuen Biodiversitätsziele sind eine grosse Chance»
Interview mit Eva Spehn, Mitglied der Delegation an der COP15
Eva Spehn, Expertin für internationale Biodiversitätsfragen beim Forum Biodiversität, war als Wissenschaftlerin Teil der Schweizer Delegation an der Weltbiodiversitätskonferenz COP15 in Montreal. Wie bewertet Sie die Ergebnisse? Und welche Rollte spielte die Wissenschaft dabei?
Sie waren nun Tag und Nacht in Verhandlungen. Kehren Sie optimistisch zurück?
Eva Spehn: Ja, ich bin durchaus optimistisch. Nach fast 4 Jahren Vorarbeit und 3 Wochen intensiven Verhandlungen in Montreal gibt es jetzt eine bessere Basis als je zuvor, den dramatischen Verlust an Biodiversität aufzuhalten. Nun ist es an allen Staaten, die Ziele umzusetzen und mit Indikatoren ihre Fortschritte zu belegen.
An der COP15 in Montreal hat sich die Welt neue Ziele in Sachen Biodiversität geben. Was wurde erreicht?
Das neue Abkommen ist recht ambitioniert und breit aufgestellt, auch wenn am Schluss noch ein paar Zähne gezogen wurden. Meist genannt wird das neue Flächenziel, 30% der Land- und Meeresfläche bis 2030 zu schützen, und auch das Ziel, 30% der degradierten Flächen zu restaurieren.
Noch wichtiger aber ist der starke Fokus auf die Umsetzung. Der Weltbiodiversitätsrat hatte im Vorfeld die wichtigsten direkten und indirekten Ursachen des Biodiversitätsverlustes benannt – und diese werden nun angegangen. So gibt es ein Ziel zur Reduktion der Verschmutzung, überschüssige Nährstoffe und Pestizide sollen um die Hälfte verringert und Biodiversität schädigende Subventionen abgebaut werden.
Es sind alle Akteure in der Pflicht. Grosse Firmen sollen ihre schädlichen Auswirkungen auf Biodiversität messen und berichten, Konsumierende besser informiert werden, welchen Schaden durch die Erzeugung der Produkte entstanden ist. Es soll mehr Finanzhilfen geben, um den armen, aber meist sehr biodiversitätsreichen Ländern beim Schutz und der nachhaltigen Nutzung ihrer Natur zu helfen. Die wichtige Rolle der Frauen, von Jugendlichen und von Indigenen und lokaler Bevölkerung ist in den Zielen berücksichtigt.
Ich sehe die nun verabschiedeten Ziele als grosse Chance, die Trendumkehr beim Niedergang der Biodiversität bis 2030 zu bewirken. Aber diese Chance muss nun gepackt werden.
Die vorherigen Aichi-Ziele wurden praktisch alle weltweit nicht erreicht. Sind die Voraussetzungen diesmal besser?
Die Voraussetzungen sind günstiger. Die neuen Ziele sind besser messbar und vor allem mit Indikatoren versehen. Alle Staaten müssen nun auf vergleichbare Art und Weise über ihre Fortschritte berichten. Dies erzeugt öffentlichen Druck. Mehr aber auch nicht, Strafen gibt es keine. Bemerkenswert war, dass alle Staaten den Zielrahmen wollten, auch wenn die Verhandlungen zäh waren. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Elan für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen weiterträgt.
Wie konnten Sie als Wissenschaftlerin in der Schweizer Delegation mitgestalten? Funktioniert der Dialog zwischen Wissenschaft und Politik an der COP?
Die Wissenschaft hat diesmal sehr viel Input geleistet. Der neue Zielrahmen ist stark von den Erkenntnissen des Weltbiodiversitätsrates geprägt, und es waren auch viele Wissenschaftler:innen bei den Vorverhandlungen und jetzt in Montreal dabei, auch in den Delegationen. Ich arbeitete vor allem an der Entwicklung des «Monitoring Framework» mit. Wir haben ein Set mit 30 Indikatoren ausgewählt, die eine griffige Berichterstattung ermöglichen. Die Schweizer Delegation hat sich dafür enorm ins Zeug gelegt.
Der Dialog funktioniert dann am besten, wenn die Wissenschaftler:innen die Konvention zur Biologischen Vielfalt gut kennen. Viele haben ihre Forschungsschwerpunkte stark auf Lücken und Bedürfnisse der Konvention ausgerichtet und entscheidende Beiträge geleistet. Manchmal war es aber auch amüsant, die Dialoge in den Wissenschafts-Chats zu verfolgen, die Sicht ist schon eine andere. Es geht eben nicht darum, mit mehreren Hundert Teilnehmenden einen möglichst klugen Text zu verfassen, sondern sich auf einen möglichst klugen Kompromiss zu einigen. Für die Verhandlungen braucht es deshalb Strategie und Verhandlungsgeschick, eine Kunst, die die erfahrenen Verhandler:innen in der Delegation beherrschen.
Welchen Handlungsbedarf sehen Sie nun in der Schweiz aufgrund der Resultate der COP?
Der Handlungsbedarf ist gross, auch in der Schweiz. Einiges ist bereits aufgegleist – etwa die Weiterentwicklung des bestehenden Schutzgebietsnetzes zu einer funktionierenden ökologischen Infrastruktur. Doch die Studie des Forum Biodiversität zu den Handlungsoptionen des Weltbiodiversitätsrates zeigte, dass wir noch sehr viel mehr tun müssen in fast allen Sektoren, um den nötigen transformativen Wandel zu schaffen. Der nächste Aktionsplan zur Biodiversitätsstrategie bietet die Gelegenheit, einiges davon aufzunehmen. Letztlich geht es darum, die Biodiversitätskrise zusammen mit der Klimakrise anzugehen und vor allem den Druck auf die Biodiversität durch geringeren Ressourcenverbrauch zu verringern.
Das Interview führte Marcel Falk, SCNAT.
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