«Landschaftsbeobachtung Schweiz muss für die Praxis relevanter werden»
Carte Blanche für Urs Steiger, Kommunikations- und Landschaftsfachmann
04.10.2024 – Das Programm «Landschaftsbeobachtung Schweiz (LABES)» erhebt in regelmässigen Abständen den Zustand und die Veränderungen der Landschaften der Schweiz. So wichtig diese Informationen sind, es braucht Verbesserungen, damit sie in der Praxis breit nutzbar werden.
Der Beitrag gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.
LABES liefert vielfältige, grösstenteils auch einzigartige Daten. Periodisch werden physische Aspekte wie die Entwicklung der Waldflächen oder der Lichtemissionen mit Hilfe von Fernerkundungsdaten analysiert. Bei der Landschaftswahrnehmung kommt eine Bevölkerungsumfrage zum Einsatz. Dies ist eine der grossen Leistungen von LABES und ermöglicht es, sich qualitativen Grössen wie der «wahrgenommenen Landschaftsqualität» oder der «Schönheit der Landschaft» anzunähern.
Dank LABES lassen sich wichtige Trends gut erkennen. Die Ergebnisse zeigen etwa, dass die Bevölkerung vor allem die Veränderungen des Siedlungsgebietes (negativ) und besonders stark die Revitalisierung der Gewässer (positiv) wahrnimmt, während Landschaftsveränderungen im Landwirtschaftsgebiet oder beim Wald weniger registriert werden. Auch zeigt sich, dass der Raum in fast allen Bereichen immer intensiver genutzt wird. Einige Trends (z.B. die Zersiedelung) verlangsamen sich, andere (z.B. die Verbuschung der Alpweiden) führen zu einem erheblichen Verlust an Landschaftsqualität.
Klärungsbedarf
Die Bevölkerung nimmt Landschaftsveränderungen hauptsächlich im Zusammenhang mit der Siedlung wahr. So erstaunt es auch nicht, dass sie in peripheren ländlichen Gebieten kaum Landschaftsveränderungen registriert. Dieser Gradient in der Wahrnehmung, der mit der Abnahme von Siedlung und der Zunahme von «grüner» Landschaft einhergeht, ist grundsätzlich nichts Neues. Er wirft aber die Frage auf, ob tatsächlich der Grad der Veränderungen wahrgenommen wird, oder ob eher unterschiedliche ökonomische Beurteilungen in der Agglomeration versus den peripheren ländlichen Gebieten mitspielen. Beide können natürlich beeinflussen, ob Veränderungen positiv oder negativ beurteilt oder überhaupt wahrgenommen werden.
Daten stärker verknüpfen, Widersprüche auflösen
Das zentrale Ziel von LABES ist es, die Umsetzung des Landschaftskonzeptes Schweiz und die Erreichung der darin formulierten Qualitätsziele zu unterstützen. Um dies tatsächlich zu ermöglichen, sollten das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und die Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) die Landschaftsbeobachtung weiterentwickeln.
Aktuell werden die Daten zur Wahrnehmung kaum mit den physischen Erhebungen verknüpft. Dies ist schade. Relevante Fragen, etwa ob sich Menschen in unberührten Landschaften besser erholen können, bleiben so unbeantwortet.
An einigen Stellen reiben sich im LABES-Bericht das anthropozentrische Konzept von «Landschaft» an einer biozentrischen Perspektive. So wird das Mosaik von Wald und Nichtwaldflächen als besonderer Reiz der Schweizer Landschaften dargestellt und der damit verbundene Übergang von Wald zu Offenlandschaft als ökologisch wertvoll gewürdigt. Keine zwei Absätze später wird «die landschaftliche Vielfalt» naturüberlassener Gebiete gelobt, zu denen auch wiederbewaldete Gebiete gehören. Entsprechende latente und immanente Konflikte sollten expliziter als solche erkannt und dargestellt werden.
Datenbasis verbreitern
Die Arealstatistik ist eine wichtige Datengrundlage für LABES, wird aber bisher nur alle 12 Jahre aktualisiert. Eine Beschleunigung mit Unterstützung von KI ist in Prüfung, kurz- und mittelfristig aber noch nicht verfügbar. Eine Erweiterung der Datenbasis von LABES mit Fernerkundungsdaten könnte jedoch mithelfen, die Periodizität zu verkleinern und gleichzeitig die Beobachtung weiter zu differenzieren, und insbesondere kleinräumigere Strukturänderungen zu erfassen. Auch für den Bereich der Landschaftswahrnehmung wäre eine Verbreiterung der Datenbasis gewinnbringend. Bewegungsdaten würden vermutlich weit belastbarere Daten liefern als Befragungen, und helfen, Massierungen und besonders frequentierte Landschaften zu erkennen.
Für die Praxis verfügbar machen
Die Landschaft wird von einer Vielzahl von Akteuren geprägt. Ihre Veränderung ist entsprechend auch in zahlreichen Bereichen, vor allem auch in der Planung, relevant. Für die Praktikerinnen und Praktiker sind die LABES-Ergebnisse aktuell allerdings noch schlecht nutzbar. Spezifische regionale Auswertungen sind aufwändig und bedürfen der Unterstützung seitens der WSL. Für die Umfrage bietet die WSL den Kantonen zwar Zusatzmodule an, die aber spätere regionale Bedürfnisse nicht abdecken können. Um die Anschlussfähigkeit an die Praxis herzustellen, ist zu überlegen, wie die Daten und die zugrundliegenden Geodatenmodelle allenfalls auf einer LABES-Plattform angeboten werden könnten. Eine solche Plattform – beispielsweise analog zum Agrarbericht – wäre mit weiteren Vorteilen verbunden: Die Inhalte des Berichts würden für ein breiteres Fachpublikum erschlossen und die Voraussetzung geschaffen, dass die Ergebnisse in die tägliche Arbeit von Planenden einfliessen können. Zudem liessen sich einzelne Aspekte entsprechend der Verfügbarkeit neuer Daten laufend erneuern. Ein Gewinn für alle!
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Urs Steiger ist Kommunikations- und Landschaftsfachmann und Mitglied im Kuratorium des Forums Alpen, Pärke, Landschaft der SCNAT.
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