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Wirtschaft im Einklang mit der Biodiversitätserhaltung

Von Paula Cacault, Edoardo Chiarotti und Jean-Pierre Danthine

Die Erhaltung des Naturkapitals entspricht eigentlich dem kapitalistischen Ansatz. Die langfristigen kollektiven Ziele stehen aber in Konflikt mit kurzfristigen individuellen Interessen. Um die verbliebene Biodiversität zu erhalten und wieder zu fördern, müssen wir unsere Meinungsverschiedenheiten über den besten Ansatz überwinden und rasch auf eine für die Natur positive Kreislaufwirtschaft hinarbeiten.

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Die Meinung, der Naturschutz widerspreche der kapitalistischen Logik, ist weit verbreitet. Selbst wenn man einen rein wirtschaftlichen Ansatz verfolgt, ist sie aber falsch. Nehmen wir das Beispiel eines Gemüsebauern. Um vom Verkauf seines Obstes und Gemüses leben zu können, braucht er physische Inputs wie das Saatgut, Düngemittel sowie Kapital. Dabei kann das Kapital sowohl natürlich (der Boden, in dem das Gemüse wächst), physisch (seine Maschinen und Werkzeuge) oder auch menschlich sein (seine Arbeitskraft und die seiner Angestellten). Aus kapitalistischer Sicht besteht das Ziel des Gemüsebauern darin, seine Gewinne zu maximieren. Dazu muss er kurzfristige Faktoren berücksichtigen: So braucht er etwa hochwertiges Saatgut und motivierte Arbeitskräfte. Zugleich – und das ist sehr wichtig – muss er aber auch langfristig denken und vor allem dafür sorgen, dass sein Boden fruchtbar bleibt, damit er sein Gemüse auch in Zukunft unter günstigen Bedingungen anbauen kann.

Eine wirtschaftliche Perspektive als erster Ansatz

Die Erhaltung des Bodens und allgemein des Naturkapitals ist somit ein integraler Bestandteil eines kapitalistischen Ansatzes. Aber weshalb scheint unsere Wirtschaft dann nicht fähig zu sein, die Natur aus eigener Kraft zu bewahren? Die Ursache dafür liegt im Konflikt zwischen kurzfristigen persönlichen und langfristigen kollektiven Interessen. Im obigen Beispiel zeigt sich dieser Konflikt, wenn der Gemüsebauer seine Produktion – vielleicht aus Unwissenheit oder weil ihm der finanzielle Spielraum fehlt – maximiert, ohne die negativen Folgen zu bedenken, welche die von ihm verwendeten Mittel (z. B. Dünger, Pestizide) für seinen Boden und vielleicht auch angrenzende Produzenten haben. So könnte eine benachbarte Imkerin, deren Bienen unter den eingesetzten Mitteln leiden, beeinträchtigt werden. Diese Situation – die Tätigkeit des einen hat negative Auswirkungen auf die Produktionskapazität der anderen – wird als Externalität (oder externer Effekt) bezeichnet. Es ist dann Aufgabe des Staates, die Rahmenbedingungen für die Lösung solcher Interessenkonflikte zu schaffen, um die Erhaltung des Naturkapitals zu gewährleisten.

Der eben beschriebene rein ökonomische Ansatz beruht auf der Erkenntnis, dass das Naturkapital ein wesentlicher Faktor in unserer Produktion von Gütern und Dienstleistungen ist. Dieses Kapital für einen kurzfristigen Gewinn zu schmälern, ist mittel- und langfristig sehr kostspielig für die Allgemeinheit: Sie muss ihren Standpunkt vor allem dann durchsetzen, wenn die in diesem Bereich oftmals vorhandenen Externalitäten dazu führen, dass sich das kollektive Interesse und das unmittelbare Interesse der Produzierenden widersprechen.

Wenn wirtschaftliche Rechte, die als selbstverständlich gelten, infrage gestellt werden, muss dies durch Massnahmen kompensiert werden, welche den Umstieg für die Betroffenen und vor allem für die Schwächsten erträglich machen. Sonst werden schwierige Massnahmen demokratisch nicht unterstützt. Es ist beispielsweise nicht sinnvoll, die Erhaltung der Biodiversität gegen den Widerstand der Landwirtinnen und Landwirte voranzutreiben, die eigentlich die Hauptträger dieser Bemühungen sein sollten. Die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich hat deutlich zeigt, dass das Ignorieren solcher Einschränkungen zu demokratischen Blockaden oder Verzögerungen bei der Umsetzung notwendiger Massnahmen führt.

Das Naturkapital ehren

Es gibt eine zweite Sichtweise der Beziehung zwischen Wirtschaft und Biodiversität, die grundlegender, aber auch umstrittener ist. Sie geht davon aus, dass die Biodiversität als gemeinsames globales Erbe über alle anderen Erwägungen hinweg erhalten werden muss – also unabhängig von den wirtschaftlichen Kosten und davon, wer sie zu tragen hat. Dieser Ansatz kann natürlich zu einem Ausmass der Erhaltung führen, das über das hinausgeht, was durch einen aufgeklärten wirtschaftlichen Umgang mit unserem Naturkapital eigentlich gerechtfertigt wäre. Ein extremes Beispiel wäre das Verbot jeglichen Bergbaus, weil dieser zu einem Verlust an biologischer Vielfalt führt.

Hier muss nochmals betont werden, dass das Ziel des Wirtschaftssystems das Streben nach dem Gemeinwohl ist, und dass die Definition des gemeinsamen Ziels nicht Aufgabe der Ökonomen sein kann, sondern vielmehr der Zivilgesellschaft, die ihre Meinung über die Politik zum Ausdruck bringt. Ist dieses gemeinsame Ziel festgelegt, muss die Wirtschaft so ausgerichtet werden, dass die Chancen möglichst gut stehen, es auch verwirklichen zu können. Eine Übernahme dieser zweiten Sichtweise bedingt aber wiederum eine demokratische Mehrheit – und diese ist kaum zu erreichen, wenn die damit verbundenen Kosten für diejenigen, die sie bewältigen müssen, nicht tragbar scheinen. Hier zeigt sich das sehr aktuelle Dilemma zwischen der drohenden Apokalypse und dem leeren Bankkonto am Ende des Monats.

Debatte überwinden, Kreislaufwirtschaft einführen

Zwar haben wir eine offene Haltung in Bezug auf die Sichtweise, die verfolgt werden soll. Es scheint uns aber wichtig, einen Stillstand zu vermeiden, der sich aus einer zu ehrgeizigen Vision ergeben könnte, die kein Volksmehr erreichen kann. Es braucht zweifellos eine Abwägung zwischen Maximierung des Naturkapitals und Wahrung des Zusammenlebens in unseren Demokratien. Der rein wirtschaftliche Ansatz sollte ein Mindestniveau definieren, das dringend durchgesetzt werden müsste.

Heute wird dieses Minimum nicht erreicht: Das derzeitige Wirtschaftssystem führt zu einer Verarmung der Natur und der Biodiversität. Die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen ist für etwa die Hälfte der weltweiten Treibhausgasemissionen und für etwa 90 Prozent des Verlusts an Biodiversität und des Wasserstresses verantwortlich. Dieser Druck auf die Atmosphäre, die Biosphäre und das Süsswasser hat das Mass, welches unser Planet ertragen kann, schon weit überschritten. Wenn wir so weitermachen, wird die Umwelt bald nicht mehr fähig sein, sich selbst zu regulieren. Und dann verlassen wir die stabile Periode des gegenwärtigen geologischen Zeitalters und treten in eine weitaus instabilere Phase ein, die mit massiven Unsicherheiten bezüglich unserer Fähigkeit, unser Wohlstandsniveau zu bewahren, behaftet ist.

Die Berücksichtigung von Einschränkungen jeglicher Art ist das Herzstück des wirtschaftlichen Denkens (und es gibt keinen Grund, die Bedürfnisse unserer Umwelt zu bestreiten) und führt uns unweigerlich zu einer Kreislaufwirtschaft, die viel naturfreundlicher ist. Dieser Wandel wird nicht ohne Verzicht vonstatten gehen, aber dieser ist nichts im Vergleich zu den Opfern, die wir bringen müssen, wenn die heutigen Lebensbedingungen auf unserem Planeten nicht erhalten werden können.

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