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«Die einzigartige Biodiversität des Grundwassers braucht mehr Beachtung»

Carte blanche für Florian Altermatt und Roman Alther, Eawag und Universität Zürich

12.12.2024 – Das Grundwasser ist die wichtigste Trinkwasserquelle der Schweiz. Seine Unversehrtheit ist von hohem gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Interesse. Es beherbergt eine einzigartige Vielfalt an hochspezialisierten Organismen, von denen viele nur in der Schweiz vorkommen. Die Biodiversität des Grundwassers ist jedoch grösstenteils unerforscht und erscheint kaum im Monitoring und in Berichten zur Biodiversität. Aus unserer Sicht wäre eine angemessene Berücksichtigung der biologischen Vielfalt des Grundwassers dringend notwendig. Erste wichtige Schritte wären Rote Listen für Grundwasserorganismen und die systematische Überwachung der biologischen Vielfalt.

Florian Altermatt und Roman Alther

Der Beitrag gibt die persönliche Meinung der Autoren wieder und muss nicht mit der Haltung der SCNAT übereinstimmen.

Die Schweiz beherbergt eine einzigartige Biodiversität mit über 56’000 bekannten und geschätzt insgesamt 85’000 Arten. 1 Diese Artenvielfalt ist an Land sowie in Seen und Bächen relativ gut dokumentiert. Über die Biodiversität im Grundwasser, das mehr als 40 Prozent aller Süsswasserreserven der Schweiz enthält, ist jedoch nur sehr wenig bekannt. Dies ist erstaunlich, werden aus dem Grundwasser hierzulande doch über 80 Prozent des Trinkwassers gewonnen. 2 Dessen Qualität hängt wesentlich von intakten Grundwasserökosystemen ab. 3

Belastung durch Pestizide und thermische Nutzung

Das Grundwasser ist zunehmend unter Druck. 4 Verschiedene Stressfaktoren gefährden seine biologische Vielfalt und den Zugang zu hochwertigem Trinkwasser. Erstens beeinträchtigen Chemikalien, die durch die Landnutzung an der Oberfläche ins Grundwasser gelangen, die Qualität. 5 So sind die Nitratwerte an vielen Orten stark erhöht. Namentlich in Ackerbaugebieten erfüllen über 40 Prozent der Grundwasserproben die gesetzlichen Anforderungen nicht. 6 Nitrat beeinträchtigt die menschliche Gesundheit und ist möglicherweise krebserregend. An über der Hälfte der Messstellen werden zudem Pestizide und deren Metaboliten nachgewiesen. 7 Zu hohe Pestizidwerte werden mit negativen neurologischen Auswirkungen beim Menschen in Verbindung gebracht.

Zweitens wird das Grundwasser zunehmend für die Gewinnung oder Speicherung von thermischer Energie genutzt. Die Auswirkungen auf die Grundwasserorganismen sind grösstenteils noch nicht bekannt oder abschätzbar. Mehrere politische Anträge fordern derzeit eine Überprüfung der geltenden Vorschriften bezüglich der Nutzung des Untergrunds zur Wärmespeicherung, verlangen jedoch, dass sich dies nicht negativ auf die biologische Vielfalt des Grundwassers auswirken dürfe. Auch die «Strategie Untergrund Schweiz» des Bundes fordert den Schutz und die nachhaltige Nutzung, was die Erstellung nationaler und kantonaler Inventare der schützenswerten biologischen Lebensgemeinschaften bedingt.

Die Umsetzung der Gesetze ist nun gefragt

Das Gewässerschutzgesetz bezweckt, die Gewässer vor nachteiligen Einwirkungen zu schützen und als natürliche Lebensräume für einheimische Organismen zu erhalten. Dies gilt auch für alle unterirdischen Gewässer. Die Gewässerschutzverordnung, die den Vollzug regelt, fordert insbesondere, dass «die Biozönose unterirdischer Gewässer naturnah und standortgerecht» und «typisch für nicht oder nur schwach belastete Gewässer» sein soll.

Für die meisten Grundwasserökosysteme der Schweiz sind jedoch weder der Zustand noch die Veränderung der organismischen Vielfalt bekannt. Es gibt kaum Ausgangsdaten und kein systematisches Monitoring. In wichtigen aktuellen Biodiversitätsberichten wie auch der Phase 2 des Aktionsplans Biodiversität blieb das Grundwasser praktisch unberücksichtigt. Einschätzungen zur Verbreitung und Gefährdung der dort vorkommenden Arten fehlen. 12

Einzigartige Artenvielfalt

Erste Fallstudien zeigen nun, dass Schweizer Grundwasserökosysteme eine einzigartige Fauna beherbergen. So förderte unsere Forschung beispielsweise eine grosse Artenvielfalt bei den Grundwasser-Flohkrebsen zutage. 13 Mindestens ein Dutzend dieser teils noch unbeschriebenen Arten sind endemisch, kommen also nur hierzulande vor, was 25 Prozent aller endemischen Arten der Schweiz entspricht. 14 Viele dieser Flohkrebsarten überdauerten die letzte Eiszeit in der Schweiz und sind damit ein einzigartiger Teil unseres Naturerbes. 15

Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Landnutzung, insbesondere in Ackerbaugebieten, zu einem Rückgang und einer Veränderung der Artenvielfalt im Grundwasser führt und dass die Schutzzonen um Wasserfassungen allenfalls nicht genügend gross sind, um dies zu mildern. 16 17

Ein Monitoring ist notwendig

Bessere Daten zur Biodiversität im Schweizer Grundwasser sind dringend erforderlich, sowohl für den Schutz der Organismen und ihrer ökologischen Funktionen als auch für ihre mögliche Nutzung als Indikatoren für Umweltveränderungen. Die oberirdischen terrestrischen und aquatischen Ökosysteme werden durch mehrere Bundesprogramme gut überwacht. Um das Grundwasser als natürliche Ressource zu schützen, ist auch ein angemessenes biologisches Monitoring der Grundwasserökosysteme notwendig.

Konkret könnte die Nationale Grundwasserbeobachtung NAQUA über chemisch-physikalische Messungen hinaus mit einem Modul zur Beurteilung der Biodiversität ergänzt werden. Weiter wären Rote Listen für ausgewählte Grundwasserorganismen notwendig. Roten Listen haben sich für das Monitoring von Oberflächenökosystemen bewährt und wären auch für die Umsetzung des biologischen Gewässerschutzes im Grundwasser direkt nutzbar.

Mit der EU schritthalten

Diese Schritte stünden im Einklang mit einem europaweiten Aufruf von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die für die aktuell verhandelte neue EU-Wasserrahmenrichtlinie ein biologisches Monitoring für das Grundwasser fordern. Die Schweiz sollte beim Schutz ihrer einzigartigen Biodiversität im Grundwasser und deren Ökosystemleistungen eine führende Rolle übernehmen – ganz im Sinn der international vereinbarten Ziele zum Schutz und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt, zu denen sie sich verpflichtet hat. 20


Florian Altermatt ist Professor für Aquatische Ökologie an der Universität Zürich und am Wasserforschungsinstitut Eawag in Dübendorf. Roman Alther ist Gewässerökologe und Biodiversitätsforscher an der Universität Zürich und der Eawag.

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